Management digitaler Services: Starke Menschen gefragt

Wenn Digitalisierung bedeutet, dass „alles was digital werden kann, auch digital wird“, führt dies letztendlich zu einer end to end digitalisierten Wertschöpfung. Der Nutzer auf Kundenseite ist Ausgangspunkt der Wertschöpfungskette und sein Bedarf ist Fokus des Handelns.

Das Nutzerverhalten im digitalen Ökosystem erzeugt Daten, mit denen nicht nur Prozesse gesteuert werden, die auch einen hohen Wert für die bedarfsgerechte Gestaltung des eigenen Angebots haben. Das treibt zwei Revolutionen: die real-time-Organisation mit Echtzeitinterkation und das personalisierte Angebot mit individuellem Mehrwert. Aus Geschäftssicht erfordert dies E2E-Integration der Prozessketten entlang der Wertschöpfung, aus IT-Sicht ein durchgängiges, intelligentes Datenmanagement mit E2E-Integration der IT-Services vom lokalen Anwender-zugang über dezentrale IT-Dienste bis in die zentrale Verarbeitung. Damit stehen Organisationen und ihre Mitarbeiter vor verschiedenen Herausforderungen, die einen grundlegenden Wandel notwendig machen.

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Digitale Herausforderungen

Wo stresst der veränderte Servicefokus die Organisation?

Nutzerzentrierte, komplexere Wertschöpfungskette

Unterstützt die IT bisher vor allem die eigene Geschäftsorganisation über interne IT-Services, wird sie nun direkt an der Kundenschnittstelle gefordert. Endkunden werden Teil der digitalen Wertschöpfung, die eigenen IT-Leistungen zunehmend integraler Teil digitaler Geschäftsservices. Die Grenzen zwischen Fach- und IT-Leistungen werden unschärfer. Digitale Services sind nur noch gemeinsam beherrschbar. Die Ownership hierfür liegt im Business. Damit muss die Geschäftsorganisation Managementfähigkeiten für ihre digitalen Services entwickeln und benötigte Fach- wie IT-Leistungen orchestrieren. Stufen in der Wertschöpfungskette bleiben dort, wo auf standardisierte Managed Services zurückgegriffen werden kann.

Kürzere Innovations- und Änderungszyklen

Die klassischen Serviceentwicklungsprozesse werden durch Unschärfe und Dynamik unserer VUCA-Welt zunehmend gestresst. Schnelligkeit im Lernen und Umsetzen gewinnt gegenüber Planen und Absichern an Bedeutung. Die immer kürzeren Entwicklungszyklen wirken sich wellenartig auf die gesamte Wertschöpfungskette aus. Das schnellere, hoch parallele Handeln erfordert aber auch klarere Leitplanken. Strategische Lenkung, kollaboratives Arbeiten und lernende Organisation gewinnen an Bedeutung.

Verändertes Sourcing

Die Markterwartungen an die Leistungsfähigkeit digitaler Services steigen massiv und kollidieren mit der Leistungsfähigkeit der eigenen Organisation. Um neue Fähigkeiten entwickeln zu können, braucht es oft einen veränderten Kompetenz-Fokus, der zur Neubewertung der eigenen Leistung in der Wertschöpfungskette führt. Dementsprechend werden bestehende Fähigkeiten mitunter extern ersetzt. Das betrifft die Fachseite wie die IT, hier oft über entsprechende „as-a-Service“-Angebote (XaaS). Dies erfordert eine stärkere Öffnung gegenüber Servicemärkten und die Fähigkeit, externe Services zu integrieren und zu orchestrieren.

Digitale Services treiben den organisatorischen Wandel

Welche Anforderungen verbinden wir mit zukunftsfähigen Organisationen?

Veränderte Rollen in der Service­organisation

Business und IT müssen hierfür ihre Rollen neu definieren. In fachnahen Feldern müssen sie als Partner auf Augenhöhe handeln, wozu sie häufig aus verschiedenen Gründen noch nicht in der Lage sind. Hierfür müssen sie gemeinsame Serviceziele teilen. Über alle Stufen der Wertschöpfungskette hinweg müssen beide zugleich servicefähiger werden, um Ergebnisse abzusichern und die Komplexität der Steuerung zu begrenzen.

Der Innovationsdruck erfordert ein anderes Zusammenarbeitsmodell

Die Welt verändert sich rasend, das Wissen verdoppelt sich immer schneller. Dem wird man nur über eine engere bereichs- und unternehmensübergreifende Zusammenarbeit gerechter. Die Sequenzialität der Entwicklungen in der Servicekette vom Business über IT bis zu externen Dienstleistern setzt Zeit und Planbarkeit voraus, die so nicht mehr existieren. Bisher halbwegs klar geregelte Lieferbeziehungen mit stabilen SLA/OLA werden immer fluider. Wo das SLA bisher verlässliche Brücken gebaut hat, schwappen die Wellen nun immer höher. Die See wird Teil des Spielfelds.. Was bedeutet das konkret? Wenn mein Spielfeld nicht planbar ist und die äußeren Einflussfaktoren immer schnelllebiger werden, dann ist ein starkes Team, das sich untereinander vertraut, gemeinsame Ziele fokussiert, hierfür sein Wissen teilt und sicher gegenseitig stärkt, das einzige, was wirklich zählt. Der End-Kundenfokus und die IT-Abhängigkeit im Business erfordern Kollaboration im gemeinsamen Entwickeln und Betreiben digitaler Services. Dies gilt auch für die Einbindung externer Partner.

Agile Ansätze liefern den Rahmen für diese Zusammenarbeit, erfordern aber die Weiterentwicklung der Führung und Kultur sowie der Struktur und Arbeitsweisen in der Organisation. Wo die IT noch in ihrem funktionalen Silo steckt, muss sie sich für die Geschäftsdomänen öffnen, ihren Fokus von effizienter IT-Bereitstellung hin zu effektivem IT-Einsatz verändern und gemeinsame Kompetenzen mit dem Business für die Gestaltung digitaler Services entwickeln. Das kann abhängig von den Faktoren über verschiedene Organisationsformen erreicht werden. In jedem Fall müssen funktionale Silos in Business und IT vermieden werden, um Geschwindigkeit und Anpassungsfähigkeit entlang der Wertströme zu gewährleisten.

Neue Fähigkeiten braucht der digitale Service

Digitale Services verändern die Erwartungen an Rollen, deren Fähigkeiten oft noch zu entwickeln sind. Der Ausbau des IT-Sourcings und der stärkere Fokus auf geschäftsspezifische IT-Kompetenzen verändert auch die personellen Anforderungen in der IT. Beratende, gestaltende und steuernde Leistungen gewinnen grundsätzlich an Bedeutung – u.a. für Portfolio, Architektur, Sicherheit, Prozesse, Services und Sourcing. Andererseits wachsen die XaaS-Angebote im Markt. Sie definieren, was Commodity in der IT wird, somit einzubinden und zu orchestrieren ist.

Auswirkung auf Führung, Kultur, Menschen

Anforderungen an Mitarbeitende wandeln sich

Die fachlichen und kollaborativen Anforderungen treiben den Anpassungsbedarf in klassischen, funktional geprägten Organisationen. Sehr konkret zeigt sich dies, wenn Mitarbeitende neue agile Rollen übernehmen, die ein hohes Maß an Reflektionsfähigkeit, Selbststeuerung und Gestaltungskompetenz erfordern. Aber auch fachliche Anforderungen werden breiter, wenn Business und IT zusammen Wissen aufbauen und sich besser verstehen lernen müssen. Wir sprechen von T-shaped Skillprofilen, wenn Menschen in der Lage sind, ihr eigenes Expertenwissen im Kontext anderer Fachgebiete wirkungsvoll nutzbar zu machen. Unübersichtliche Aufgabenstellungen erfordern, über den eigenen Tellerrand schauen zu können. Es bedarf auch einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein, sich voll einzubringen, gemeinsame Experimente zu wagen und Fehler bewusst in Kauf zu nehmen, auch wenn ich das Spielfeld nicht überblicke. Vertrauen, mutig sein, widersprechen, mitgestalten, selbstgesteuert (Mikro-)Führungsrollen einnehmen: Um diese Fähigkeiten auszubauen und neue Mitarbeitende mit solchen Verhaltensprofilen zu integrieren, müssen tief verankerte Grundannahmen neu überprüft werden: Wie offen gehe ich als Mitarbeitender, als Führungskraft, als Organisation mit Unsicherheit und eigenem Unwissen um? Verliere ich Macht, wenn ich mein Wissen weitergebe? Wie risikobereit darf ich sein? Wem kann ich vertrauen? Der tiefgreifende Wandel zeigt sich vor allem im Führungsverständnis. Wo es früher eine klare Trennung zwischen Füh-rungskräften und Mitarbeitenden gab, weichen Hierarchien den Einflüssen der Selbstorganisation. Alle denken mit, alle gestalten, alle arbeiten konstruktiv an der gemeinsamen Sache. So soll es sein, doch wie kommt man da hin? Vereinfacht: Mitarbeitende müssen Raum einnehmen lernen, Führungskräfte Räume definieren und Raum lassen.

Die Logik der Organisation

Klassischerweise prägt die hierarchische Organisation das gewünschte Verhalten hauptsächlich von oben nach unten. Dies geschieht zu einem geringen Teil formell und begründet, überwiegend durch kontinuierliches Beobachten der Referenz gebenden Personen, der Führungskräfte. Die Organisation mit Struktur, Entscheidungen, Verträgen und Verhalten folgt den jeweils vorherrschenden Grundannahmen und Werten ihrer Akteure. Zu wel-chen Mustern führen diese Annahmen? Welche Fähigkeiten und welches Verhalten fördern sie? Was belohnt die Organisation mit Anerkennung und Aufstieg? Und ist das, was intern erfolgreich macht, noch entscheidend für den Erfolg der Organisation in ihrem Markt? Wo nicht, muss sie sich erneuern. Eine neue Führung ist zunehmend gefragt, getragen von neuen Ideen und vielen Schultern – auf Basis neuer Grundannahmen und entscheidender Werte wie Mut, Offenheit, Respekt, Fokus und Engagement.

Neue Führungsformen entstehen lassen

Kollaboration in der digitalen Welt braucht eine andere Art von Führung, Innovationskraft, die Vielfalt der Perspektiven und bereichsübergreifende Zusammenarbeit. Sie braucht funktionierende Netzwerke und eine Führung, die die Gestaltungskraft mündiger Mitarbeitender im Sinne klarer Ziele nutzt und lenkt. Damit Fähigkeiten, Erfahrungen und Sichtweisen aller im Team zusammenwirken können, muss ihnen Augenhöhe und Sicherheit ermöglicht werden. Bestehende informelle Hierarchien entlang der Bereiche und Führungsebenen wirken hier oft destruktiv – selbst dann, wenn bereits cross-funktionale Teams gebildet wurden. Gerade auf den mittleren Ebenen ist es für viele nicht einfach, ihren Einfluss über gemeinsame Ziele und klare Rahmenbedingungen auszuüben. Hierfür müssen Führungskräfte ihre eigene Wirkung und die Identität ihrer Rolle hinterfragen, um die bisherigen Grundannahmen für persönlichen und unternehmerischen Erfolg zu bestätigen oder zu erneuern. Die Reflektion ist auf allen Ebenen notwendig, um Führungshandeln auf die aktuellen Anforderungen auszurichten und die richtige Balance aus freiem Gestaltungsraum und sinnvollen Grenzen zu finden.

Wie aber gestaltet sich optimales Führungshandeln vor der Kampfansage der Digitalisierung?

Grundsätzlich treibt die Digitalisierung klarer Ergebnisverantwortung in die Führung und umfassendere Durchführungsverantwortung in die Teams. Für Helden und Retter oder Mikromanager unter den Führungskräften wird der Wandel herausfordernder. Reflektierte Führung ermöglicht ständiges Lernen und zielgerichtete Veränderung im Verantwortungsbereich und mit den anderen. Welche Einstellungen müssen verändert werden, um Teamarbeit zu verbessern und bereichsübergreifend zu integrieren? Wie zeigt sich Wille zur Veränderung? Wie werde ich mit eigenen „Rückfällen“ umgehen? Der Lernprozess betrifft fachliche wie disziplinarische Führungskräfte und kann nicht dem Zufall überlassen bleiben. Das Team ist Held und Heldin, Einzelne bleiben wichtig, jedoch gemessen an ihrer Wirkung auf das Team. Das Team muss lernen, indem es Experimente wagt und Hypothesen laufend überprüft. Führungskräfte sollen das nicht nur zulassen, sondern aktiv unterstützen. Das bedarf einer neuen Reife und Handlungsorientierung. Auch wenn immer Wissen und Gestaltungskraft jedes Einzelnen wiegen, müssen sie in Fähigkeiten des Teams münden. Die Führungskraft ist in stärkerem Maße Coach, der Teams befähigt, Ziele zu erreichen und dem Einzelnen Perspektiven verschafft. Die Werte Vertrauen und Verlässlichkeit werden entscheidend, wenn das Spielfeld unübersichtlich wird und Überraschungen drohen. Hier regen Führungskräfte an, machen Mut und holen auch mal die Kastanien für ihr Team aus dem Feuer. Die Organisation muss Tugenden fördern, so dass wirklich wertschöpfende Zusammenarbeit gelingt. Der Lernprozess erfordert ein klares Ziel und fortwährend Befähigung, Feedback und Reflektion.

 

Christina Buchholz
Managing Consultant, HiSolutions AG

Langjährige Führungsverantwortung im IT-Service Management sowie der Kundenservice-Entwicklung, Systemischer Coach (Verband DVCT)

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Martin Ollesch 
Senior Manager 

Experte für IT-Management mit den Schwerpunkten IT-Organisationsentwicklung, IT-Governance und agile Transformation.

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