12.12.2025

Zwischen Krise und Alltag: Warum BCM im Krankenhaus den Unterschied macht

Ein Beitrag von Sophie-Louise Pries

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in der Notaufnahme – ein gebrochenes Bein, Schmerzen, Sie warten auf die Anmeldung. Plötzlich wird es unruhig am Empfang. Gedämpfte Gespräche, schnelle Blicke, jemand sagt leise: „Das Krankenhaus-Informationssystem ist ausgefallen.“ Einen Moment lang fragt man sich unwillkürlich: Sollte ich vielleicht lieber in ein anderes Krankenhaus fahren? Doch während dieser Gedanke noch nachhallt, passiert etwas Unerwartetes: Das Personal wird wieder ruhig, niemand gerät in Panik. Die Abläufe laufen weiter – konzentriert, professionell, geordnet. Papierformulare liegen bereit, neue Patienten werden nahtlos aufgenommen. Digitale Patientenakten können über einen gesicherten Notfall-PC weiterhin eingesehen werden. Befunde werden telefonisch weitergegeben, das Personal weiß genau, welche Schritte als Nächstes folgen. 

Der Betrieb geht weiter. Nicht perfekt, aber sicher. Nicht digital wie gewohnt, aber verlässlich genug, um die Versorgung zu gewährleisten. Sie selbst merken schnell: Das Krankenhaus hat sich vorbereitet. Und genau das macht in diesem Moment den Unterschied.

Warum BCM im Krankenhaus unverzichtbar wird

Krankenhäuser gehören zur Kritischen Infrastruktur (KRITIS) und müssen die Patientenversorgung auch bei Störungen und Notfällen zuverlässig sicherstellen – die NIS-2-Richtlinie erhöht zugleich die Anforderungen an Cybersicherheit und organisatorische Resilienz deutlich. Gleichzeitig zeigt sich in nahezu allen Häusern eine besondere Herausforderung: IT, Medizintechnik und physische Infrastruktur sind hochgradig voneinander abhängig, während viele Bereiche bereits im Normalbetrieb unter personellem und organisatorischem Druck stehen. Schon kleinere Ausfälle können die Patientenversorgung unmittelbar beeinträchtigen.

Business Continuity Management (BCM) liefert genau den Rahmen, um diese Komplexität beherrschbar zu machen. Es identifiziert kritische Prozesse, bewertet Abhängigkeiten und definiert klare Vorgehensweisen, damit Versorgung auch dann stabil bleibt, wenn zentrale Systeme ausfallen oder Ressourcen knapp werden.

Viele Kliniken verknüpfen BCM bewusst mit bestehenden Strukturen wie dem Krankenhausalarm- und Einsatzplan (KAEP) und dem ISMS – nicht als zusätzliches Projekt, sondern als integralen Bestandteil verantwortungsvoller Führung. Dabei sorgt BCM dafür, dass wichtige Prozesse auch in Krisensituationen weiterlaufen, der Betrieb nach Störungen schnell wieder aufgenommen werden kann und finanzielle, rechtliche oder reputative Schäden minimiert werden. Gleichzeitig schafft es klare Verantwortlichkeiten, koordinierte Abläufe und Transparenz über Abhängigkeiten zwischen Bereichen, Prozessen und Systemen. Kurz gesagt: BCM schafft Klarheit, Prioritäten und Handlungsfähigkeit – und wird so zu einem unverzichtbaren Element moderner Krankenhausorganisation.

Stimmen aus der Praxis – Einblicke in die Einführung von BCM

Enrico Freier ist in Berlin BC-Manager der „Vivantes -Netzwerk für Gesundheit GmbH“ und führt hier seit ca. 1,5 Jahren in Deutschlands größtem kommunalen Klinikkonzern BCM ein. Welche Erfahrungen und Erkenntnisse er dabei sammelte, schildert er in einem Interview:

1. Was war Ihre Motivation, sich mit BCM im Krankenhaus zu beschäftigen?

„BCM begleitet mich seit vielen Jahren als zentrales Thema organisatorischer Resilienz. Im Krankenhaus ist die Komplexität besonders hoch. Patientenversorgung, Technik und Organisation greifen eng ineinander, und selbst kleine Ausfälle können die Patienten- und Versorgungssicherheit unmittelbar beeinträchtigen.” 

Besondere Bedeutung gewinnt BCM in den großen, zur kritischen Infrastruktur gehörenden Krankenhäusern, wie sie Vivantes betreibt. “Mich reizt die Aufgabe, diese Strukturen so zu gestalten, dass sie auch unter außergewöhnlichen Bedingungen tragfähig bleiben und die Versorgung verlässlich gesichert ist. Gerade in einem Umfeld, das zu den komplexesten Organisationsformen überhaupt zählt, zeigt sich, wie entscheidend das Zusammenspiel funktionierender Systeme für die Stabilität des Betriebs ist. BCM bietet dafür den methodischen Rahmen, um diese Abhängigkeiten sichtbar zu machen, gezielt zu steuern und Schritt für Schritt in ein belastbares System zu überführen.“

2. Welche Erkenntnis aus der BCM-Einführung war besonders überraschend oder wertvoll?

„Im Verlauf der Arbeit hat sich gezeigt, dass die Wirksamkeit von BCM weniger von Konzepten oder Vorlagen abhängt, sondern davon, wie Verantwortung tatsächlich wahrgenommen wird. Strukturen gewinnen erst dann an Bedeutung, wenn sie verstanden und aktiv genutzt werden. Diese Erfahrung hat verdeutlicht, dass BCM nicht nur Methoden bereitstellt, sondern die Art und Weise verändert, wie Führung, Abstimmung und Entscheidungsprozesse in der Organisation funktionieren.“

3. Wie hat sich BCM auf den Alltag im Krankenhaus ausgewirkt?

„BCM hat das Bewusstsein für Abhängigkeiten und kritische Schnittstellen geschärft. Medizinische, technische und administrative Bereiche tauschen sich heute gezielt aus, gleichwohl die gemeinsame Steuerung im Aufbau ist. Der Austausch über bspw. Prozesse, Wiederanlaufzeiten und Ressourcen gewinnen an Substanz und führen dazu, dass Prioritäten klar benannt werden. BCM entwickelt sich damit Schritt für Schritt zu einem verbindenden Rahmen, der Stabilität und Handlungsfähigkeit fördert.“

4. Was würden Sie anderen Häusern raten, die über BCM nachdenken?

„BCM sollte als Führungsaufgabe verstanden werden, nicht als zusätzliches Projekt. Entscheidend ist, frühzeitig klare Ziele, realistische Schritte und verbindliche Zuständigkeiten zu definieren. Wer die Methodik an die eigenen Strukturen anpasst und den Dialog zwischen den Bereichen aktiv fördert, schafft eine tragfähige Grundlage. Auf diese Weise entsteht ein System, das über einzelne Notfallpläne hinausgeht und die Organisation langfristig widerstands- und reaktionsfähiger macht.“

Fazit

BCM bietet Kliniken mehr als reine Notfallbewältigung. Es schafft Transparenz, stärkt Verantwortlichkeiten, verbindet Bereiche und legt die Grundlage für eine Versorgung, die auch unter Druck funktioniert. In einer Zeit, in der Ausfälle realistisch, Ressourcen knapp und Systeme verwoben sind, lohnt sich die Frage:

Wären wir heute in der Lage, einen plötzlichen Ausfall souverän zu bewältigen?